Am 18.12.2018 Ulrich Stollte in der Stuttgarter Zeitung "Aus der Arbeitslosigkeit zum Traumberuf"

Dort, wo in der EU die Jugendarbeitslosigkeit am höchsten ist, rekrutiert das Hotel Eco-Inn seine Auszubildenden. Es bietet den künftigen Hoteliers nicht nur einen Ausbildungsplatz, sondern auch eine Wohnung und einen Sprachkurs.

Esslingen - Die Hotelbranche hat schon immer geklagt, wie schwer es sei, Nachwuchs zu finden. Doch jetzt, wo man im Landkreis Esslingen von Vollbeschäftigung redet, reden auch die Gewerkschaft und andere Verbände von einer Nachwuchskrise in der Hotel- und Gaststättenbranche. Was tun? Das Hotel Eco-Inn in Esslingen hat eine Strategie entwickelt, um Lehrlinge aus besonders krisengeschüttelten Ländern anzuwerben und sie in Deutschland zu beschäftigen. Für diese erfolgreiche Strategie hat das Management jüngst einen Preis von der Industrie- und Handelskammer überreicht bekommen.

Thomas Puchan, Geschäftsführer des Hotels Eco-Inn in Esslingen „Um Auszubildende zu bekommen, haben wir mit der IHK Zagreb einen Kontakt geschlossen und mit einer Sprachschule in Malaga, Spanien. Weil das Länder mit hoher Jugendarbeitslosigkeit sind, konnten wir eine gemeinnützige GmbH gründen, die das Projekt trägt.

Unsere Anforderungen sind ein Sprachkurs, ein Mindestalter von 18 Jahren und ein einwöchiges Praktikum. Wir arbeiten mit Hotels und Gaststätten im Landkreis zusammen, sowie einem Stuttgarter Caterer. Einer unserer Projektpartner ist das Kolpingwerk in Stuttgart, dort machen die Auszubildenden einen Sprachkurs. In Esslingen/Berkheim haben wir ein Haus gemietet, in dem Auszubildende wohnen.

Neben ihrem Lehrlingsgehalt beziehen die Mitarbeiter auch Arbeitslosengeld II oder Wohngeld. Wir unterstützen die Lehrlinge auch bei Ämtergängen und beim Schriftwechsel mit den Behörden. Außerdem betreuen wir sie auch in privaten Fragen bis zum Ende ihrer Ausbildung.“

Dieses Engagement hat auch die Industrie- und Handelskammer aufhorchen lassen. So hat das Hotel Eco-Inn in diesem Jahr den Innovationspreis Ausbildung der IHK gewonnen. Aber wie sieht es bei den Lehrlingen selbst aus?

Ana Bucanovic 21 Jahre, aus Kroatien. Ich bin seit zwei Jahren in Deutschland. Ich komme aus Dakovo in Slavonien und wollte immer in die Gastronomie gehen. Ich habe auch schon in Rovinj in Istrien in einem großen Hotel gearbeitet. Aber die Berufssauschichten in Kroatien sind schlecht, man bekommt keine Anstellung und schon gar nicht im Winter. Ich habe einfach das Internet aufgemacht und nach einem ökologischen Hotel gesucht. Die erste Seite, die aufging, war die des Eco-Inn in Esslingen. Ich habe mich beworben und wurde sofort genommen. Wenn ich in Esslingen meine Ausbildung gemacht habe, möchte ich in Deutschland und in Kroatien Management studieren. Deutsch habe ich schon in der Grundschule gelernt, aber ich gestehe, ich habe es nicht besonders gut gesprochen. Meine Eltern haben dann immer deutsches Fernsehen laufen lassen, damit ich mein Deutsch verbessere.

Am Anfang war es schwierig hier, aber mir gefällt es, vor allem, dass man in den verschiedenen Abteilungen eines Hotels arbeiten kann.“

Julietta Schechtel, 26, aus Spanien. „Ich bin seit zwei Jahren in Deutschland, meine Familie lebt in Malaga in Andalusien. Von Beruf bin ich Friseurin, aber ich hatte keine Chance, in Spanien einen Job zu finden. Selbst Leute mit einer guten Ausbildung haben keine Möglichkeit, in Spanien an einen Arbeitsplatz zu kommen. Über das Projekt hatte ich die Chance, eine neue Sprache und eine neue Kultur kennen zu lernen.

Ich habe keine Kinder, also konnte ich einfacher aus Spanien weggehen als andere. Am Anfang war es sehr schwer, vor allem wegen der Sprache. Aber auch meine Familie hat mir gefehlt, doch jetzt ist mein Bruder Julian hier, der an der Shell- Tankstelle in Plochingen arbeitet.

Zur Zeit überlege ich mir, zusammen mit meinem kroatischen Freund in Deutschland zu bleiben. Oder besser, im Sommer in Deutschland zu leben und im Winter in Andalusien. Ich arbeite sehr gerne in der Hotellerie, mein absoluter Traumberuf ist es allerdings, Taxifahrerin zu werden. Doch dafür brauche ich natürlich erst einmal Geld, um den Führerschein zu bezahlen.“

Dieter Proß, IHK Esslingen-Nürtingen, Referatsleiter der Berufsbildung. „Wir unterstützen das Projekt des Eco-Inn sehr und haben ihm deswegen auch den Innovationspreis für Ausbildung verliehen. Es kling vielleicht ein bisschen verwunderlich, dass das Hotel-Gewerbe bei der Handelskammer angesiedelt ist und nicht bei der Handwerkskammer, aber das ist traditionell so. Wir wissen, dass das Hotelgewerbe ein Sorgenkind ist, was den Nachwuchs betrifft. Deswegen organisieren wir eine eigene Lossprechungsfeier für Auszubildende, um ihnen unsere Wertschätzung zu zeigen. Wie hoch der Lehrlingsmangel allgemein in der Region ist, zeigt sich daran, dass wir in diesem Jahr 300 freie Stellen im Bezirk hatten. Sonst gibt es immer mehr Bewerber als Stellen.“

Helmut Zacher, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten der Region Stuttgart. „Grundsätzlich ist das Projekt okay. Wir wissen, dass die Betriebe verzweifelt Auszubildende suchen, und wir finden es gut, dass damit die Jugendarbeitslosigkeit in anderen europäischen Ländern gesenkt wird. Die Gastronomie hat nun mal traditionell Arbeitszeiten in den Abendstunden und am Wochenende. Wir appellieren aber auch an die Gäste, sich nicht zu beschweren, wenn nach 22 Uhr die Küche geschlossen wird, und um 24 Uhr die Bar. Das vermeidet Überstunden des Personals.“

Zuerst veröffentlicht in der Stuttgarter Zeitung am 18.12.2018 vom Autor: Ulrich Stollte