Jürgen Trittin in Esslingen. Der ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin findet klare Worte

Für viele ist er immer noch der Umweltminister schlechthin: Jürgen Trittin war im Econvent zu Gast und sparte nicht mit Kritik an der Politik der Regierung.

Als „Umweltpolitiker schlechthin“ wird er oft bezeichnet und als sehr prinzipientreuer Mensch beschrieben. Jürgen Trittin, von 1998 bis 2005 Bundesumweltminister und von 2009 bis 2013 Vorsitzender der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, ist in der Tat ein Mann der klaren Worte. Das wurde jetzt im Rahmen der Talk-Reihe im Econvent Esslingen sehr deutlich, an der die hochkarätigen Gäste unentgeltlich teilnehmen.

Ist er denn wirklich so prinzipientreu, wie viele sagen, will EZ-Redakteur Alexander Maier von Jürgen Trittin wissen: „Ich weiß nicht, ob ich prinzipientreuer bin als andere. Wir haben bei den Grünen aber gewisse Ziele wie den Atomausstieg, die wir dann auch beharrlich verfolgen und umsetzen“, antwortet der. Ganz klar ist für den gebürtigen Bremer aber: Die Politik muss zu dem stehen, was sie gesagt hat und diese Ziele dann auch aktiv umsetzen. Das gehe ihm in der aktuellen Regierung in vielen zentralen Punkten viel zu langsam, stellt Trittin klar. Etwa beim Thema Klimaschutz: „Will die Bundesregierung die Klimakrise einfach weiter aussitzen? An schönen Worten fehlt es nicht, sehr wohl aber am politischen Handeln“, so die Kritik. „Deutschland war einmal Vorreiter im Klimaschutz. Die Bilanz des letzten Jahrzehnts, der Kanzlerschaft Angela Merkels zeigt aber: Die deutschen Treibhausgasemissionen stagnieren auf hohem Niveau. Ziel war es, vom Jahr 1990 an gerechnet die Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu senken. Geschafft haben wir von diesem Etappenziel bisher nur 31 Prozent. Innerhalb eines Jahres noch neun Prozentpunkte zu realisieren, das würden nicht mal die radikalsten Grünen hinbekommen.“ Die deutschen und europäischen Klimaziele müssen verschärft werden, sagt Trittin – der sich ganz klar für ein Klimaschutzgesetz ausspricht – „davon sehe ich aktuell aber nichts.“ So müsse die globale Erwärmung auf maximal zwei Grad plus, besser noch eineinhalb Grad begrenzt werden, um den Folgen der Klimakrise noch Herr werden zu können. Stattdessen lebe man aktuell aber in Zeiten der weltweit höchsten CO2-Konzentration seit wohl drei Millionen Jahren: „Das ist fatal.“

Bei der Europawahl 2019 habe sich der deutliche Überdruss der Wähler an der Untätigkeit der Politik bei der Klimathematik gezeigt. Das schlechte Abschneiden der großen Volksparteien sei aber nie nur an einem Thema festzumachen: „Da stellt sich auch unabhängig von Sachthemen die Frage: Muss das immer so weitergehen, etwa was die Große Koalition angeht“, resümiert Trittin. Die Energiewende sei machbar, das Wissen und die technischen Voraussetzungen dafür vorhanden: „Das Problem ist die schreckliche Marktstrategie.“ Mit der Diesel-Subventionierung etwa müsse endlich Schluss sein. „In China wurden schon 2018 eine Million E-Autos verkauft, keines davon von einem deutschen Hersteller“, nennt Trittin ein Beispiel für die zu langsame Umsetzung der Ziele: „Die Autoindustrie ist hier weiter als die Bundesregierung. Wir sind zehn Jahre hinterher.“ Oder wenn Markus Söder (CSU) jetzt über den Kohleausstieg bis 2030 spricht: „Das haben die Grünen schon lange in ihrem Programm.“

Alle zwei Jahre erhebe das Bundesumweltamt eine Studie zum Umweltbewusstsein der Deutschen: „In der letzten halten 70 Prozent der Befragten den Klimaschutz für eine zentrale politische Aufgabe. Nur drei Prozent finden aber, die Bundesregierung tue dafür genug. Das ist ein sehr ernster Befund“, betont Trittin. Ein Umdenken müsse zudem in Sachen Agrarwirtschaft stattfinden: „Aktuell werden die mit der größten Fläche am meisten finanziell unterstützt. Die größten Subventionsnehmer sind also große Unternehmen. Stattdessen muss der Fokus auf die kleineren Betriebe gelegt werden, „das sind noch richtige Bauern und keine großen Industriebetriebe“, so Trittin. Problemen wie der Zugabe von Antibiotika bei großen Tierbeständen oder das Aufbringen von Gülle, was wiederum das Grundwasser verschmutze, müsse entgegengewirkt werden. Ebenso wie der Futtergewinnung, mit der oft die Abholzung tropischer Wälder einhergehe, denke man etwa an die Sojalieferungen aus Südamerika.

Politikmüde ist Jürgen Trittin, der Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss ist, noch nicht, stellt er auf Nachfrage klar: „Ich habe mein Leben lang Politik gemacht, ich bin noch fit, wieso soll ich jetzt aufhören?“ Bei der nächsten Bundestagswahl sei es die große Herausforderung für die Grünen, die aktuell sehr guten Ergebnisse der Europawahl zu halten, um dann bestenfalls die „äußerst unbequeme“ Oppositionsrolle überwinden zu können. Dass er nochmals für den Posten als Bundesumweltminister zur Verfügung stehe, wiegelt er ab: „Wir haben die Leute dafür“, sagt Trittin mit Blick auf die aktuelle Doppelspitze Annalena Baerbock und Robert Habeck.

Ob sich Politik verändert habe, will Alexander Maier zum Abschluss dann noch wissen. „Ja, das hat sie. Wenn man sieht, dass heute Bürgermeister abtreten, weil sie Morddrohungen erhalten und sich der Mob durchsetzt in einer Form der Enthemmung, die es so lange nicht gab, dann treibt mich das absolut um. Da muss sich etwas ändern. Die demokratischen Parteien müssen sich hier ganz klar gegen diesen Hass, diesen neuen Nationalismus stellen, der so oft verharmlosend Rechtspopulismus genannt wird.“

Zuerst veröffentlicht in der Eßlinger Zeitung am 07.04.2019 vom Autor: Katja Eisenhardt