Vieles, wofür es sich zu kämpfen lohnt
In der Reihe „Talk im Econvent“ betonte die ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, wie wichtig es ist, soziale Verantwortung zu übernehmen. Angesichts vieler Menschen, die sich engagieren, schaut sie jedoch hoffnungsvoll in die Zukunft: „Es gibt wieder mehr Menschen, die klare Kante zeigen.“
Fast vier Jahrzehnte lang saß die promovierte Juristin Herta Däubler-Gmelin im Bundestag. Sie war Bundesjustizministerin und stellvertretende Parteivorsitzende der SPD, hat sich mit Durchsetzungswillen, Kampfeslust und Engagement für das Aufbrechen verkrusteter politischer Strukturen, für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt und sich damit auch in ihrer Partei nicht nur Freunde gemacht. In der Reihe „Talk im Econvent“ hat die heute 75-Jährige nun im Gespräch mit EZ-Redakteur Alexander Maier gezeigt, dass sie nichts von ihrer Streitlust eingebüßt hat.
Zwar hat sich Herta Däubler-Gmelin inzwischen aus der Berufspolitik zurückgezogen, doch ihre Lust an der Auseinandersetzung und ihr Einsatz für eine an den Bedürfnissen der Menschen orientierte Politik, für gerechte Strukturen und eine lebenswerte Zukunft haben nicht nachgelassen. „Ich sehe eine Menge Dinge, für die es sich zu kämpfen lohnt“, sagt sie. Ihr mache Mut, dass sich so viele Menschen für sozialpolitisch relevante Bereiche engagieren. Allerdings spiegle sich das im offiziellen Politikbetrieb nur bedingt wider. „Viele Politiker auch auf der Landesebene sind noch gut im Leben ihrer Kommunen verankert, aber je weiter ich nach oben schaue, um so mehr stelle ich fest, dass der Kontakt zur Bevölkerung und deren Leben und Sorgen verloren geht. Der binnenorientierte Typus Politiker hat zugenommen“, sagt Däubler-Gmelin.
Doch Kritik an verkrusteten Strukturen, mangelhafter innerparteilicher Demokratie oder fehlenden Zukunftsentwürfen allein könne nicht zielführend sein. „Wir müssen eine Richtung und eine Vision haben und dies mit der Praxis zusammenbringen, das habe ich von Willy Brandt gelernt, und das hat mich geprägt“, erzählt sie. Jungen Leuten mit guten Ideen und politischem Talent werde der Weg in die Politik allerdings oft nicht leicht gemacht. Fast übermächtig erscheine die Dominanz der Wirtschaft, die gute Karrierechancen biete, die politischen Strukturen indes seien sehr sperrig geworden. „Dabei gibt es viele gute Leute im Umwelt- und Sozialbereich, Vertreter der Zivilgesellschaft, und ich beklage, dass sie nicht in die Politik gehen. Aber wenn die Zivilgesellschaft und die Politik auseinanderdriften, wird es ganz schwierig. Da müssen wir tätig werden“, ist Herta Däubler-Gmelin überzeugt.
Als möglichen Weg, dies aufzubrechen und damit die parlamentarische Demokratie zu reformieren, sieht sie die Aufnahme einer „kritischen Masse von Menschen aus der Zivilgesellschaft“ in die Wahllisten der Parteien und in die Fraktionen und damit in die Strukturen der Berufspolitik. „Mit solchen Vorschlägen macht man sich in der Politik allerdings nicht nur Freunde, und man kann ziemlich auf den Hut kriegen. Das wäre also mühsam, aber lohnend“, sagt sie. Große Hoffnung mache ihr, dass sich derzeit viele junge Menschen daran machten, die Politik und ihre Protagonisten in Frage zu stellen und ihre kurzfristige und gegenwartsbezogene Sichtweise anzuklagen. „Die jungen Leute spüren, dass die Zukunft kaputt geht, wenn man jetzt nichts ändert“, stellt Herta Däubler-Gmelin fest.
Der globale Rohstoffverbrauch steige jährlich rasant, bereits Mitte dieses Monats sei die rechnerisch für 2019 zur Verfügung stehende Menge an Ressourcen unwiederbringlich verbraucht. „Wenn wir das zu Ende denken, darf in drei Jahren nichts mehr produziert und gehandelt werden, das nicht komplett recycelbar ist.“ Würde das derzeitige kurzfristige Denken beibehalten, seien bereits in wenigen Jahren globale Auseinandersetzungen um die verbliebenen Ressourcen, um Wasser und Boden, und enorme Migrationsbewegungen für das nackte Überleben zu erwarten. „Es droht eine Welt, in der niemand leben möchte. Die jungen Leute erkennen das, und deswegen wird sich etwas ändern.“
Nachhaltiges Denken dürfe sich jedoch nicht allein auf Wirtschaftsfragen beziehen. „Wir haben soziale Verantwortung – in unserer Gesellschaft und global“, und dabei dürften sich auch die älteren Generationen nicht zurücklehnen. „Es reicht nicht, unsere Kinder dafür zu loben, dass sie freitags für ihre Zukunft demonstrieren. Wir müssen sie auch dazu anhalten, samstags nicht die Billig-T-Shirts zu kaufen, die in Bangladesch gemacht wurden“, sagt Herta Däubler-Gmelin. Trotz mancher politischer Schieflage gebe es insgesamt also keinen Grund zum politischen Pessimismus. „Es gibt wieder mehr Menschen, die klare Kante zeigen, die sich engagieren und die an andere denken, auch wenn ihnen dabei der Wind ins Gesicht bläst – das macht mir viel Hoffnung.“
Zuerst veröffentlicht in der Eßlinger Zeitung am 07.04.2019 vom Autor: Peter Stotz
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- Kategorie: Presse